So lautete der Titel einer Vortragsveranstaltung der Kreistagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen am vergangenen Mittwoch (19.10.2022) im Evangelischen Gemeindehaus in Nußloch. Referent war der Geograph Stefan Flaig von der Firma Ökonsult aus Stuttgart.
Ausgangspunkt seines Vortrages war die Frage, was die Demografie, die zu erwartende Bevölkerungsentwicklung, mit dem Wohnungsbau zu tun hat und wie die Kommunen am besten darauf reagieren sollten. Gleich zu Beginn des Referats wurden die etwa 40 Besucher, darunter auch Nußlochs Bürgermeister Joachim Förster sowie einige Mitglieder des örtlichen Gemeinderates, mit der durchaus provokanten These konfrontiert, dass die allermeisten Kommunen weitgehend am künftigen Wohnungsbedarf vorbei und damit überhaupt nicht nachhaltig planen, weil sie die Folgen des demografischen Wandels nicht berücksichtigten. Das verlangte nach Erklärung. Und die lieferte Stefan Flaig in seinem nachfolgenden Vortrag mit einer Vielzahl überzeugender Fakten und Überlegungen.
Alles hängt an deutlich auseinanderklaffenden Bevölkerungsanteilen der älteren Bürger (60 Jahre und älter) und der jüngeren Generation (20-35 Jahre). Erstere Gruppe wächst in den kommenden 20 Jahren deutlich an, insbesondere da die sogenannten Baby-Boomer immer mehr dieser Alterskohorte zugerechnet werden müssen. Dagegen bleibt die Anzahl der jüngeren Bürgerinnen und Bürger mehr oder weniger konstant unter der der älteren Menschen. Diese Entwicklung kann auch nicht durch verstärkten Zuzug aufgehalten werden, weil die Überalterung unausweichlich in ganz Deutschland fortschreitet.
Gleichzeitig haben die älteren Menschen nach dem Auszug etwaiger Kinder und möglicherweise dem Verlust eines Ehepartners im Schnitt deutlich mehr Wohnraum pro Kopf zur Verfügung. Nach dem Tod der Senioren stehen so im Laufe der Jahre immer mehr Einfamilienhäuser (EFH) leer, die von der jüngeren Generation genutzt werden könnten und sollten. Betrachtet man die Altersgruppen, stellt man in den allermeisten Kommunen fest, dass es im Bestand oft schon heute mehr Einfamilienhäuser mit über 70Jährigen gibt als junge Familien, die diese Häuser später wiederbelegen könnten. Die Ausweisung neuer Baugebiete mit Einfamilienhäusern ist in einer solchen Situation genau die falsche Strategie, die die Kommunen künftig vor große finanzielle Probleme stellen wird, denn die Kosten für die Unterhaltung der installierten Infrastruktur bleiben den Gemeinden auch bei zunehmendem Leerstand weitgehend erhalten.
Der Rat, den Stefan Flaig den Kommunen daher am Ende seine Vortrages für die heute notwendige Entscheidungen zur Stadtentwicklung mit auf den Weg gibt, lautet daher auch: Keine Ausweisung neuer EFH-Wohngebiete, Reduktion des Leerstands, Förderung von altersgerechten Wohnungen im Ortszentrum, wo alle wichtigen Ziele schnell erreicht werden können, sowie Schaffung preisgünstigen Mietwohnraums. Die Maßnahmen und kommunalpolitischen Entscheidungen dazu seien nicht unbedingt leicht zu treffen, es gelte daher, mit sogenannten Pull- und Push-Maßnahmen die Ziele schrittweise zu erreichen, also mit geeigneten Anreizen aber auch mit Ver- und Geboten innerhalb der Kommune. Dazu zähle beispielsweise, die Nachfrage junger Familien auf den Gebäudebestand zu lenken, das Zweckentfremdungsverbot gegen Leerstand einzusetzen oder preiswerten Mietwohnraum durch langfristige Erbpachtverträge zu ermöglichen.
Nach dem Vortrag schloss sich eine angeregte Diskussion mit vielen Nachfragen aus dem Publikum an. Es war spürbar, dass der Vortrag von Stefan Flaig, viel Interesse geweckt und bei nicht wenigen Zuhörern möglicherweise den Blick auf neue Anforderungen künftiger Entscheidungen zur Ortsentwicklung ihrer Gemeinden geschärft hat.
Ein PDF-Dokument mit den wichtigsten Inhalten des Vortrags sowie begleitenden textlichen Erläuterungen zu den einzelnen Folien können von der Webseite der Grünen Kreistagsfraktion hier geladen werden.
Jochen Schwarz, 24.10.2022